Die Internationale Porzellanbiennale in Meißen zeigt sich avantgardistisch
Von CHRISTOPH SCHMÄLZLE, Feuilleton FAZ, 23.08.2018
Die Schließung der künstlerischen Entwicklungsabteilung der Porzellanmanufaktur Meißen im Jahr 2010 hat in der Stadt an der Elbe kreative Kräfte freigesetzt. So pflegt die Künstlergruppe „Weißer Elefant“ seitdem das anspruchsvolle Unikat unabhängig von den Zwängen des Manufakturbetriebs. Schaufenster dieser Entwicklung ist die Galerie im Torhaus am Domplatz.
Zum zweiten Mal lädt der Trägerverein dieser Galerie zur Internationalen Porzellanbiennale in die Albrechtsburg, der mythischen Ursprungsstätte des europäischen Hartporzellans. Der Wille zur Verstetigung und zum Blick über den regionalen Tellerrand ist deutlich zu spüren. Erstmals gehört das staatliche Porzellanikon in Hohenberg und Selb zum Kreis der Kooperationspartner, eines der größten Spezialmuseen für Porzellan in Europa.
Die Agenda der Veranstaltung ist anspruchsvoll: Es gilt das Material, dem man im Alltag mit weitgehender Ignoranz begegnet, für den künstlerischen Diskurs zurückzugewinnen. Gezeigt wer- den Objekte, die im Idealfall handwerkliche Perfektion mit einem künstlerisch avancierten Konzept verbinden. Der Bildungsauftrag des Museums liegt auf der Hand: Sensibilität für die Sprache der Dinge zu schaffen, für die von Form und Faktur erzählten Geschichten.
Selbst unabhängig von ihrem Kunstanspruch ist die Biennale eine frappierende Leistungsschau der Materialbeherrschung. Mit ihrem Kordelporzellan löst Silke Decker die Gefäßwände in filigranes Tragwerk auf. Virtuos überzieht Jong-Min Lee seine Vasenobjekte nach Formen der Yi-Dynastie mit einer handgeschnittenen Ornamentierung. Im Bereich des polychromen Porzellans fallen die zweckfreien Zylinder von Lotte Westphael ins Auge, deren hauchdünne Wandung aus durchgefärbten Scherben an Bauhaus-Teppiche von Anni Albers erinnert.
Mehr als jeder andere Werkstoff verweist Porzellan auf den Dialog zwischen Europa und Asien. In der Porzellanmetropole Jingdezhen hat Tineke van Gils gegossene Vasenrohlinge auf der Töpferscheibe zu Teekannen umgearbeitet und die chinesischen Dekore um Tulpen ergänzt: eine historisch wie handwerklich anspruchsvolle Marriage.
Den radikalen Angriff auf die mit dem Medium oft assoziierte Sehnsucht nach Gefälligem wagt Rona Kobel. Unterstützt von der Königlichen Porzellanmanufaktur Berlin, arbeitet sie an einem „politischen Tafelgedeck“, bei dem ei- nem der Bissen im Hals stecken bleibt. Naturkatastrophen und Lynchopfer zieren die in Meißen leider nicht ausgestellten Suppenteller. Drei allegorische Figuren balancieren die Schale des Tafelaufsatzes in fragilem Gleichgewicht: die leichtbekleidete Freiheit, die auf das nächste Selfie schielt, Justitia in Gestalt einer hohlen Ritterrüstung, deren Schwertarm abgefallen ist, und der kraftstrotzende Kapitalismus. Sein Geschlecht ringelt sich wie ein Dollarzeichen, er trägt – frei nach Thomas Hobbes’ „homo homini lupus“ – die Fratze eines Wolfes.
Neben diesen Schreckensgestalten, die als Stützen der Gesellschaft kaum taugen, stößt sich die mythologische Europa aus Adolph Ambergs „Hochzeitszug“ von 1904/05 den Dolch in die entblößte Brust. Traurig lässt ein neoklassizistischer Kerzenleuchter den Kopf hängen, ein latent phallisches Objekt, das angesichts der Krise der Alten Welt seine Spannkraft verliert und dessen Konturen sich unter dem Druck weltanschaulicher Korrosion auflösen.
Morbidität und Fragilität prägen auch die Arbeiten von Marie-Josée Comello. Sie kombiniert in Porzellan übersetzte Ornamente des Arts-and-Crafts-Aktivisten William Morris mit zoomorphen Fragmenten, die auf Jagdstillleben verweisen und wie alles Organische leicht schmutzig wirken. Die seriellen Arrangements sind visuell schlagend. Es ist eine irritierende Form von Magie, Porzellan in Fleisch zu verwandeln, oder – wie man mit Blick auf den Genius Loci der Albrechtsburg sagen müsste – ein Fall von Alchemie.