Schrecklich schöne Dystopie

Interview mit der Bildenden Künstlerin Rona Kobel, Book chapter A/Symmetrie — Interdisziplinäre Perspektiven, Junge Akademie

 

Herausgegeben von Bettina M. Bock & Thorsten Merl
Die Junge Akademie, Berlin, August 2023

 

Bettina M. Bock: Rona, du hast eigens für das Thema A/Symmetrie eine künstlerische Arbeit angefertigt: „Play-offs“. Wie hast du dich der Thematik angenähert?

Rona Kobel: Rein formal ist A/Symmetrie etwas, mit dem sich jede Künstlerin und jeder Künstler bewusst oder unbewusst auseinandersetzt. Soll die Formgebung/ die Komposition symmetrisch, also ruhig und harmonisch sein, oder asymmetrisch, wild und verstörend.
Als Bildhauerin habe ich zuerst darüber nachgedacht, welches die perfekte symmetrische Form ist und bin natürlich zur Kugel gekommen. Diese konnte ich inhaltlich mit der Form eines Balles und der Form von Planeten verknüpfen.
Der Ball ist ein gutes Symbol für unsere spielende Gesellschaft, für Wettkampf und im weiteren Sinne auch Hedonismus. Eigennutz und Gedankenlosigkeit der Menschen tragen dazu bei, die Umwelt, das Ökosystem, unseren Planeten zu zerstören. So entwickelte sich die Arbeit „Play-offs“ von der Symmetrie zur Asymmetrie. Insgesamt besteht die Installation aus acht verschiedenen Planeten.

Thorsten Merl: Wenn ich mir die Arbeiten anschaue, sehen sie auch unglaublich anziehend aus. Die Zerstörung kommt also in schönem Glanz?

RK: Das ist ganz typisch für meine Arbeitsweise und auch ein wichtiger Grund warum ich meine Arbeiten seit fast 10 Jahren aus Porzellan anfertige: Porzellan ist glänzend und edel und wird traditionell mit idyllischen Szenerien in Verbindung gebracht. Wenn ich damit nun beispielsweise schreckliche Medienbilder darstelle, ruft dies eine große Irritation hervor. Man wird vom schönen Schein verführt und beschäftigt sich, obwohl man gleichzeitig abgeschreckt wird.
Die Bälle/Planeten, die teilweise mit herrlich spiegelnder Lüsterfarbe bemalt sind, zeigen Risse, Brüche, Zerstörung und sind trotzdem verlockend schön. Weil man davon angezogen wird, bleibt man in der Auseinandersetzung.

BB: Findet sich A/Symmetrie auch in deinen anderen Werken?

RK: Da ich mich stark mit politischen Themen beschäftige, spielt diese Thematik tatsächlich vor allem inhaltlich immer eine große Rolle.
Bei meiner Arbeit „Prop it, dont drop it (Civilization bowl – Capitalism, Freedom, Justice)“ halten beispielsweise drei allegorische Figuren eine Schale. Die Figuren symbolisieren drei Säulen unserer westlichen Gesellschaft: Freiheit, Justizia und Kapitalismus. Nun ist der Kapitalismus ein übermächtiger Muskelprotz à la Hobbes „Der Mensch ist dem Menschen ein Wolf“, der die ganze Schale in eine derartige Schieflage bringt, dass die Suppe über den ganzen Tisch laufen würde. Während die Asymmetrie hier auch formgebend auftritt, gibt es viele Arbeiten, die äußerlich sehr schön und symmetrisch erscheinen, aber inhaltlich voller Asymmetrie sind:
Die bunten Blüten auf den Tellern der „Hate plates“ haben z.B. alle rassistisch und kolonialistisch konnotierte Alltagsnamen. Die Rudbeckia hirta wird in den USA z.B. wegen ihres dunklen Blütenkopfs umgangssprachlich „Niggerhead“genannt oder die Blüte der Physialis trägt in Deutschland aufgrund ihrer Ähnlichkeit mit den gelben, stigmatisierenden Judenhüten aus dem Mittelalter den Beinamen „Judenkirsche“.
Ebenso meine Arbeit „Nechbet“, die auf dem berühmten Foto `Starving Child` von Kevin Carter basiert, das er 1993 im Sudan aufnahm: Formal ist die Arbeit sehr symmetrisch. Das kauernde Kind trägt die Geierhaube der ägyptischen Göttin Nechbet, die als Schutzgöttin und Führerin durch die Wüste gilt. Inhaltlich beschäftigt sich das Werk aber mit der wohl größten globalen Asymmetrie: Der ungleichen Verteilung von Wohlstand und Frieden und der daraus resultierenden Konsequenz, der Thematik der Flucht.

TM: Das sind alles sehr ernste Themen. Gibt es A/Symmetrie bei dir auch in light?

Light vielleicht nicht ganz, dafür aber mit Augenzwinkern. Ich denke da z.B. an meine aktuelle KPM Kooperation zur Bauhaus Vase der jüdischen Designerin Marguerite Friedlaender und ihrer Geschickter im Nationalsozialismus. Eine Serie trägt den schnörkeligen Schriftzug freedoom. Das doppelte o, den -doom im Schriftzug, entdeckt man meist erst auf den zweiten Blick. Und während die bonbonfarbenen Vasen vor der Zerbrechlichkeit der Freiheit warnen, lächeln sie den Betrachter gleichzeitig verschmitzt an.
Das führt mich zu einem wichtigen Abschlussgedanken: Auf politischer und gesellschaftlicher Ebene tritt das aus dem Gleichgewicht gebrachte, das Ungerechte meist negativ auf. Dennoch brauchen wir die Asymmetrie: künstlerisch, um Spannung und Dynamik zu erzeugen, und als Menschen als Chance, um uns weiterzuentwickeln. In der Kunst empfinde ich die Asymmetrie sogar schöner als die Symmetrie.

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